Ventrue Chronicle - Gruppe B- Der Sturm, 1230
Über Mensch und Vampir - Einige Beobachtungen eines Beobachters:

Auf meinen Reisen, welche meist weniger physischer Natur sind, traf ich so
manche Gestalt von guter Seele, denn auch die unliebsamen haben, von der
falschen Seite aus betrachtet, eine gut Seele, und so nahm das Bild der
Wesen, deren Psyche und Seelenzustand Gestalt an. Eine Bitte brachte mich auf
den Weg zu einer bedeutenden Stadt mit bedeutenden Vampiren, doch das sei
hier nur nebenbei erwähnt.
So began ich das neue Jahr 1230 als Briefbote für den Prinzen um eine
Botschaft dem Prinzen zu übermitteln. Macht, Einfluss, Untertanen, Geld.
Wozu? Mehr Macht, mehr Einfluss, mehr Untertanen, mehr Geld. Einen Grund
giebt es nicht. Und doch Grund genug zu morden, Morde an Menschen, Morde an
Kainiten, Mord an einem Bruder, im Geiste wie im Blute.
Isolation, Hass, Gegenhass und Wut sind eine gefährliche Mischung. Im Glauben,
um die verdiente Machtposition in der Gesellschaft betrogen worden zu sein,
entwickeln sich interessante Charakterzüge. Ein Tropfen Wasser wird zu
kostbarem Öl und anstatt zu zischen, gibt es eine kleine Explosion. Nicht
schlimm, nur ein Spiel mit dem Feuer, doch man muss auch Risiken eingehen
können.
Einen Abend früher kam ich bei Brüdern unter, ein Herr namens Aimery war mir
bei der Suche nach einem Unterschlupf für die Tage behilflich. Eine schöne
Abtei, doch ich schweife ab.
Der eigentliche Grund der bereits angesprochenen Zusammenkunft war das
Verschwinden eines Mannes der auf den Namen Gerarde hörte, bis er wegen eines
Versuches, Macht anzuhäufen, als seien es Münzen, frisch geprägt, oder in
diesem Falle den kalten Händen des Vorbesitzers entrissen, Münzen, die nichts
von ihrem Schicksal wissen, ermordet wurde. Getötet wurde er schon vorher.
Eben dies zu enthüllen wurde ein lustiger Haufen zusammengetrommelt und ich
schloss mich dem Trupp an.
Ein gefähriches Spiel wird gespielt, wenn man um unbedingt sein Ziel erreichen
will. Man ist bereit, sich der Macht der Werwölfe zu bemächtigen, Magier, der
Inquisition. Allein die Idee ist so belustigend wie die Vorstellung des
Hofnarren der Burg Derham. Dem hingegen bin ich erst in einem späteren Traum
vor vielen Jahren begegnet. Ein törichtes Spiel, aber amüsant zu betrachten.
Es sagt viel aus über die Personen: eine vor Wut blinde, die zu allem bereit
ist, im fernen London ein Drahtzieher, der das ganze aus sicherer Entfernung
zu steuern. Man muss die fremden Mächte ja nicht in den eigenen Speisesaal
lassen. Ein langer Löffel genügt um das Risiko erträglich zu machen, aber
vielleicht irre ich mich auch. So gut kenne ich den Herrn dann doch wieder
nicht.
Der Kampf trug sich wie folgt zu, Pater Albert war zufällig dabei, als Leeland
den armen Gerarde richtete, wurde aber davon überzeugt, gerettet worden zu
sein. Um nicht doch etwas falsches unter den Brüdern zu verbreiten und somit
zu einer unnötigen Panik beizutragen, bot ihm Katla ein Bett für die Nacht.
Nach der Unterhaltung mit den Brüdern im Hause des Paters mehr oder minder
freiwillig, aber das ich halb Vision, halb erlebt. Was ist der Unterschied,
wenn man schon tot ist? Das ewige Leben in den Schatten als letzte Vison im
Augenblick des Todes als Fegefeuer vor der Erlösung und man hat es einfach
nicht begriffen? Wie könnte man auch, man ist ja doch nur sterblich!
Mit Nachricht und Utensilien zogen die vier aus, sich an einen Tisch zu
begeben, an dessen Löffel ich mir die Zunge verbrannte. Nicht ohne was zu
schmecken, aber auch der Grund meiner Abwesenheit. Ein Engel war keine
Warnung, auch nicht als solche gedacht und doch rückblickend als solche
verstanden worden, aber nur für wenige und wer kennt sich schon mit
brittischem Geschirr aus, man speist doch eher mit den Fingern.
Wenn das Tier durchbricht und sein Territorium zu markieren sucht, sucht auch
dieses nach gleichgesinnten. Nicht unbedingt im Zwecke, vielleicht nur in
Äußerlichkeiten, und selbst wenn nicht, so wäre ich ungerne in der Haut des
Hundes, dessen Herr mit dem Feuer spielt. Als Feuerteufel in Verruf geraten,
will man auch dem Hund nicht trauen und jagt ihn vor die Stadt, doch ich
greife vor.
Eine kleine Rangelei, viel Schatten, nicht unbedingt normal in diesen Straßen
und viel Angst. Wie kann man einen Überfall planen, wenn man sich der
Konsequenz nicht bewusst ist? Wenn Planung und Durchführung in zweierlei
Händen liegt, interessiert das Gelingen keine der Seiten. Sollte es aber.
Jedenfalls kein Grund für Graue Haare, die Strolche waren schnell
verscheucht.
Ein Treffen bei John und viel Zeit, die Mitstreiter kenne zu lernen. Nicht auf
dem Fest, vorher gab es genug Zeit, man hatte ja sonst nichts zu tun. Ist man
sich einig um uneinig sein und hat vorher beim Herausfinden nichts
herausgefunden, so zerstreut sich die Partie. Erst trottend, ein Tropfen der
Pfütze im Regen, dann schreiend und fallend. In eine andere Pfütze. Was weiß
ich warum? Aber zusammenhalten tun sie, wenn eine Wache Fragen stellt. Und
Fragen stellt man auch mir, aber an Antworten scheint man dann doch kein
Interesse zu haben. Und habe ich gesehen, was andere gesehen haben?
Hunde die bellen, beißen nicht. So sagt man, doch ich kann nur hinzufügen,
Hunde, die schweigen, die beißen. Und das sehr plötzlich. Man muss nur eine
kleinen Anlass geben, nichtmal was bedeutendes, ein kleines Wort genügt
jemandem, der sonst kein Mann der Worte ist. Auch hier gilt, Zusammenhalt der
Truppe geht über alles, und falls nicht, sei es, weil einer selbst die Zähne
fletscht, oder, weil einer gar zu passiv ist, so macht dies nichts. Wer ein
zu schwaches Gedächtnis hat, behält auch seine Freunde. Kaut man erst am
selben Knochen, so fühlt man sich wie Brüder.
Den Knochen kannte Leeland, das sah ein blinder. Auch die nordischen Runen sah
er nicht zu ersten mal. Wie auch, hatte er doch eine Kopie immer gleich zur
Hand, sehnte er sich einmal nach dem verlorengegangenen Stück. Trotzdem
wollte er es wohl behalten, doch das war zu offensichtlich. Wie vorsichtig
doch manche werden, wenn sie einer Person mißtrauen. Schon mißtraut man der
andern, doch ich ließ mich nicht irritieren, schließlich verdankt so mancher
einem anderen ein warmes Plätzchen. Und ein netter Kerl noch dazu, jedenfalls
konnte man sich anständig unterhalten und wozu soll man was über diese und
jene Löffel, Hundehalter, und alte Gebeine herausfinden, wenn man es dann für
sich behält? Zurück eine Geschichte: Zweimal schon die Burg zerstört!
Unerhört! Doch das zweitemal sollte ich miterleben, sonst hätte man sie wohl
kaum eingeladen. Kam eh zu spät mit ihrem Schoßhund, der selbst doch ein
Halter solcher Bestien ist. Nun, Bestie ist zu hoch gegriffen, eigentlich
ganz friedlich und hilfsbereit und ganz und gar nicht zahm.
Doch zunächt das übliche Gefasel. Was erwartet man auf Versammlungen von
Leuten, die nach Macht streben und halb blind sind? Sehen nur die Hälfte,
eine weitere biegen sie sich in ihre Welt und und eine dritte halten sie in
der Hinterhand. So wird alles in einem runter vorgetragen, aber uns hällt man
für verrückt! Ich rückte dies und jenes zurecht und inzwischen waren auch
alle da, nur interessierte sie weniger die Wahrheit, als vielmehr eine
triviale Handgreiflichkeit mit Prinz, Verräter und Anhang. Das kann man auch
in einer Kaschemme sehen, denn nach den richtigen Getränken fühlt sich so
mancher wie ein Baron auf seiner Bank.
Was dann geschah, erzählte ich bereits, ein paar Steine, viel Lärm und der
Herr mit dem schlechten Gedächtnis und Hang zum okkulten flüchtete.
Natürlich, hinterher, wer hätte diesen Auftrag nicht erahnt? Deswegen sind
Führungsqualitäten auch eben solche, sie wissen, wann andere für sie die
Beine in die Hand nehmen sollen, wenn dritte dies vormachen. Zehn Beine sind
nunmal langsamer als zwei und ausgerechnet in eine Sackgasse muss man rennen,
wenn man entkommen will. Eine Sackgasse freilich nur für die Verfolger, man
selbst spricht sein Sprüchlein und kommt bei Freunden unter.
Die Zurückgelassenen unterdessen haben eine unterredung mit zwei
Persönlichkeiten, von denen eine sehr bald eine Axt schwingt, die andere doch
lieber heulend in einer Ecke sitzt. Grausam ist die Welt und groß der
Toreador Blutdurst. In solch einem Zustand wird auch gerne in Kampfmagier
gebissen. Überhaupt, dass sich so um Blut gestritten werden kann? Zumindest
der werte Herr Gangrel schlief zufrieden nach getaner Arbeit ein.
Die Menschen sind aber auch komisch. Tagaktiv treiben sie sich Nachts auf den
Straßen herum und jagen Gespänster. Beruhigen lassen wollen sie sich nicht,
im Gegenteil. Blind vor Angst und Hass auf alles folgen sie offensichtlich
Wahnsinnigen und verzichten auf ihren Schlaf. Nach der stürmigen Nacht wäre
dies wohl die bessere Wahl gewesen. Nimmt man halt das andere Tor, ist auch
nicht schlimm.
Die Reise war kaum erwähnenswert. Werwölfe haben neben Vampirblut noch andere
Interessen, Gangrel können gar zivilisiert aufwachen und jagen wird nie eine
Routine sein.
Derham ist eine schöne Stadt, die sich den Luxus einer autaken Magiersippe
leistet. Hat der Tremer überhaupt verhandelt? Oder war er nur ebenso
ungeschickt wie schlecht mit Beweisen ausgestattet? Es scheint, es gibt
wichtigeres. Doch wie es den Gefährten nach der Niederlage weiterhin ergeht,
das interessiert doch. Ich für meinen Teil werde etwas Kontaktpflege
betreiben und sehen, ob man aus der Situation noch Erkenntnisse ziehen kann.

Clarke Sutherland, 1230

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